Deutsch 1

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Hallo, meine Lieben!

Am kommenden Donnerstag, 7. Mai, wäre unsere Deutschstunde. Doch leider fällt sie ein weiteres Mal dem Virus zum Opfer.

Ich sitze viel zu Hause an meinem Schreibtisch, von dem aus ich einen herrlichen Blick über See und Alpen habe. Und mein Fernweh und meine Sehnsucht wächst nach dem Land, das hinter den Alpen liegt und wo die Zitronen blüh’n. Das liess mich letzte Woche zur Italienischen Reise von Goethe greifen. Es hat mich gefesselt, und ich möchte Euch ein paar Auszüge zuschicken, damit Ihr mir das Deutsche nicht verlernt.

Ich hoffe, dass Ihr die Zeit trotz aller Einschränkungen gut verbringen könnt und wünsche Euch weiterhin gute Gesundheit und Durchhaltevermögen. Seid ganz herzlich gegrüsst und virtuell umarmt

Barbara

Goethe: Italienische Reise

( im Druck erschienen erst 1816 und 1817 )

Den 3. September 1786
Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte.

Sechs Tage nach seinem 37. Geburtstag, am 28.8., bricht Johann Wolfgang von Goethe auf, um endlich, im dritten Anlauf, nach Italien zu gelangen. Er befindet sich in einer Schaffenskrise. 10 Jahre hat er bereits seinem Herzog gedient, hat immer mehr Verwaltungsposten übernommen, ist Minister und wurde geadelt, hat aber nichts mehr veröffentlicht. Sein Weg führt ihn über Regensburg, München, Innsbruck, Bozen nach Trient, wo wir den ersten Halt machen:

Den 11. September

In der Abendkühle ging ich spazieren und befinde mich nun wirklich in einem neuen Lande, in einer ganz fremden Umgebung. Die Menschen leben ein nachlässiges Schlaraffenleben: erstlich haben die Türen keine Schlösser; der Wirt aber versicherte mir, ich könnte ganz ruhig sein, und wenn alles, was ich bei mir hätte, aus Diamanten bestünde; zweitens sind die Fenster mit Ölpapier statt mit Glasscheiben geschlossen; drittens fehlt eine höchst nötige Bequemlichkeit, so dass man dem Naturzustande hier ziemlich nahe kommt. Als ich den Hausknecht nach einer gewissen Gelegenheit fragte, deutete er in den Hof hinunter. «Qui abasso può servirsi!» Ich fragte: «Dove?» – «Da per tutto, dove vuol ! » antwortete er freundlich. …………….Der Wirt verkündete mir mit italienischer Emphase, dass er sich glücklich finde, mir mit der köstlichsten Forelle dienen zu können. Sie werden bei Torbole gefangen, wo der Bach vom Gebirge herunter kommt und der Fisch den Weg hinauf sucht. ………… Es sind keine eigentlichen Forellen, gross, manchmal fünfzig Pfund schwer, über den ganzen Körper bis auf den Kopf hinauf punktiert; der Geschmack zwischen Forelle und Lachs, zart und trefflich. Mein eigentlich Wohlleben aber ist in Früchten, in Feigen, auch Birnen, welche da wohl köstlich sein müssen, wo schon Zitronen wachsen.

Woher kann Goethe italienisch? Goethes Vater, ein Italien-Liebhaber, hatte bereits 1740 eine längere Reise nach Italien unternommen und ein Manuskript «Viaggio per l’Italia» verfasst und wollte, dass seine Kinder diese Sprache erlernen sollten, also erhielten sie Unterricht.

Über Verona geht die Reise nach Vicenza, wo er am 19. September eintrifft:

Vor einigen Stunden bin ich hier angekommen, habe schon die Stadt durchlaufen, das Olympische Theater und die Gebäude des Palladio gesehen. Wenn man nun diese Werke gegenwärtig sieht, so erkennt man erst den grossen Wert derselben; denn sie sollen ja durch ihre wirkliche Grösse und Körperlichkeit das Auge füllen und durch die schöne Harmonie ihrer Dimensionen nicht nur in abstrakten Aufrissen, sondern mit dem ganzen perspektivischen Vordringen und Zurückweichen den Geist befriedigen, und so sag’ ich vom Palladio: er ist ein recht innerlich und von innen heraus grosser Mensch gewesen.

Venedig, den 28. September 1786

Wie es mir von Padua hierher gegangen nur mit wenig Worten: Die Fahrt auf der Brenta, mit dem öffentlichen Schiffe in gesitteter Gesellschaft, da die Italiener sich vor einander in Acht nehmen, ist anständig und angenehm. Die Ufer sind mit Gärten und Lusthäusern geschmückt, kleine Ortschaften treten bis ans Wasser, teilweise geht die belebte Landstrasse daran hin. Da man schleusenweise den Fluss hinab steigt, gibt es öfters einen kleinen Aufenthalt, den man benutzen kann, sich auf dem Lande umzusehen und die reichlich angebotenen Früchte zu geniessen. Nun steigt man wieder ein und bewegt sich durch eine bewegte Welt von Fruchtbarkeit und Leben…………

Den 3. Oktober

Den Plan in der Hand suchte ich mich durch die wunderlichsten Irrgänge bis zur Kirche der Mendicanti zu finden. Hier ist das Konservatorium, welches gegenwärtig den meisten Beifall hat. Die Frauenzimmer führten ein Oratorium hinter dem Gitter auf, die Kirche war voll Zuhörer, die Musik sehr schön, und herrliche Stimmen. Ein Alt sang den König Saul, die Hauptperson des Gedichts. Von einer solchen Stimme hatte ich gar keinen Begriff,………

Im herzoglichen Palast hörte ich eine Rechtssache öffentlich verhandeln…..Der eine Advokat war alles, was ein übertriebener Buffo nur sein sollte. Figur, dick, kurz, doch beweglich, ein ungeheuer vorspringendes Profil, eine Stimme wie Erz und eine Heftigkeit, als wenn es ihm aus tiefstem Grunde des Herzens Ernst wäre, was er sagte. Ich nenne dies eine Komödie, weil alles wahrscheinlich schon fertig ist, wenn diese öffentliche Darstellung geschieht; die Richter wissen, was sie sprechen sollen, und die Partei weiss, was sie zu erwarten hat. Indessen gefällt mir diese Art unendlich besser als unsere Stuben- und Kanzleihockereien………..Der Schreiber fing zu lesen an, und nun ward mir erst deutlich, was ein im Angesicht des Richters unfern des Katheders der Advokaten hinter einem kleinen Tische auf einem niedern Schemel sitzendes Männchen, besonders aber die Sanduhr bedeute, die er vor sich niedergelegt hatte. Solange nämlich der Schreiber liest, so lange läuft die Zeit nicht, dem Advokaten aber, wenn er dabei sprechen will, ist nur im Ganzen eine gewisse Frist gegönnt. Der Schreiber liest, die Uhr liegt, das Männchen hat die Hand daran. Tut der Advokat den Mund auf, so steht auch die Uhr schon in der Höhe, die sich sogleich niedersenkt, wenn er schweigt. Hier ist nun die grosse Kunst, in den Fluss der Vorlesung hineinzureden, flüchtige Bemerkungen zu machen, Aufmerksamkeit zu erregen und zu fordern. Nun kommt der kleine Saturn in die grösste Verlegenheit. Er ist genötigt, den horizontalen und vertikalen Stand der Uhr jeden Augenblick zu verändern, er befindet sich im Fall der bösen Geister im Puppenspiel, die auf das schnell wechselnde «Berlicke! Berlocke!» des mutwilligen Hanswurstes nicht wissen, wie sie gehen oder kommen sollen…

Am 15. Oktober verlässt Goethe Venedig und reist über Ferrara, Bologna, Florenz nach Rom

Rom, den 1. November 1786

Ja, ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt! Wenn ich sie in guter Begleitung, angeführt von einem recht verständigen Manne, vor fünfzehn Jahren gesehen hätte wollte ich mich glücklich preisen. Sollte ich sie aber allein, mit eigenen Augen sehen und besuchen, so ist es gut, dass mir diese Freude so spät zuteil ward. Über das Tiroler Gebirge bin ich gleichsam weggeflogen. Verona, Vicenza, Padua, Venedig habe ich gut, Ferrara, Cento, Bologna flüchtig und Florenz kaum gesehen. Die Begierde, nach Rom zu kommen, war so gross, wuchs so sehr mit jedem Augenblicke, dass kein Bleiben mehr war, und ich mich nur drei Stunden in Florenz aufhielt. Nun bin ich hier und ruhig und, wie es scheint, auf mein ganzes Leben beruhigt. Denn es geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, das man teilweise in- und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend seh’ ich nun lebendig; die ersten Kupferbilder, deren ich mich erinnere ( mein Vater hatte die Prospekte von Rom auf einem Vorsaale aufgehängt ), seh’ ich nun in Wahrheit, und alles, was ich in Gemälden und Zeichnungen, Kupfern und Holzschnitten, in Gips und Kork schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir; wohin ich gehe, finde ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt; es ist alles, wie ich mir’s dachte, und alles neu. Ebenso kann ich von meinen Beobachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, dass sie für neu gelten können.

Am 25. Februar kommt er in Neapel an.

Bei ganz rein heller Atmosphäre kamen wir Neapel näher; und nun fanden wir uns wirklich in einem andern Lande. Die Gebäude mit flachen Dächern deuten auf eine andere Himmelsgegend, inwendig mögen sie nicht sehr freundlich sein. Alles ist auf der Strasse, sitzt in der Sonne, so lange sie scheinen will. Der Neapolitaner glaubt, im Besitz des Paradieses zu sein und hat von den nördlichen Ländern einen sehr traurigen Begriff: «Sempre neve, gran ignoranza, ma danari assai.» Solch ein Bild machen sie sich von unserem Zustande………………….Neapel selbst kündigt sich froh, frei und lebhaft an, unzählige Menschen rennen durcheinander, der König ist auf der Jagd, die Königin guter Hoffnung, und so kann’s nicht besser gehen.

Neapel, den 3. März

Dass kein Neapolitaner von seiner Stadt weichen will, dass ihre Dichter von der Glückseligkeit der hiesigen Lage in gewaltigen Hyperbeln singen, ist ihnen nicht zu verdenken, und wenn auch noch ein paar Vesuve in der Nachbarschaft stünden. Man mag sich hier an Rom gar nicht zurückerinnern; gegen die hiesige freie Lage kommt einem die Hauptstadt der Welt im Tibergrunde wie ein altes, überplaciertes Kloster vor.

Nach viertägiger Überfahrt erreicht Goethe Palermo am 3.April 1787. In Sizilien wird er bis 12. Mai bleiben. Am 17. Mai schreibt er von Neapel aus an Herder;

Den 1. Juni reise ich nach Rom, wenn mich nicht eine höhere Macht hindert, und anfangs Juli denke ich von dort wieder abzugehen. Ich muss euch so bald als möglich wiedersehen, es sollen gute Tage werden. Ich habe unsäglich aufgeladen und brauche Ruhe, es wieder zu verarbeiten.

Doch es sollte anders kommen. Der Aufenthalt in Rom wird bis zum April 1788 dauern. Der Herzog, sein Dienstherr, genehmigt ihm die Verlängerung seines Urlaubs. In der deutschen Künstlerkolonie, zu der auch Angelika Kaufmann zählt, blüht er auf. Stimulierend ist auch seine Liebe zu Faustina. Und Goethe schreibt wieder. Er spricht immer wieder davon, dass er eine Art Wiedergeburt erlebe, er habe sich selbst als Künstler wiedergefunden, schreibt er dem Herzog. Drei grosse Werke entstehen in dieser Zeit: Tasso, Iphigenie und Egmont.

Von 10.3. – 20.6.1790 unternimmt Goethe eine zweite Reise nach Italien, sie führt ihn wieder über den Brenner bis nach Venedig. Doch «das ist Italien nicht mehr, das ich mit Schmerzen verliess.»

Eine dritte geplante Reise 1796 findet nicht mehr statt.

Aber sein Haus in Weimar ist voller Erinnerungsstücke an Italien.

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