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Category: Allemand

Deutsch 3

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In Zeiten wie diesen tut ein bisschen Schmunzeln gut:

Herbstgedicht von Rudolf Löwenstein ( 1819 – 1891 )

Oktober schüttelt das Laub vom Baum
Und gibt es den Winden zu eigen.
Die führen es fort im weiten Raum,
weit fort von den trauernden Zweigen.

Die stehen jetzt da mit kahlem Haupt:
Wer hat uns beraubt, wer hat uns entlaubt?
Wo sind die Blätter, die lieben, geblieben?

Doch die, vom wirbelnden Wind getrieben,
haben längst vergessen, wo sie gesessen.

Bis zum nächsten wiedersehen, wiederhören, wiederschreiben

Alles Liebe

Barbara S

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Deutsch 2

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Chères amies Lycéennes,

Ces temps sont propices à la lecture. Récemment j’ai feuilleté dans un livre superbe et lu l’histoire de la Gesellschaft der Musikfreunde, fondée en 1812. Elle aussi a vécu des moments difficiles avec des fermetures forcées et pertes de revenus. A l’époque la réaction des autorités était très différente.

Alors je me suis dit, ça serait peut-être intéressant de vous raconter un peu  l’histoire de cette prestigieuse société.

Avec mes meilleures pensées,

Barbara S

Alles schon mal dagewesen

1812 setzen 507 Musikfreunde und Musikfreundinnen in Wien ihre Unterschrift auf eine Absichtserklärung zur Gründung eines Dilettantenvereins, der 1814 seine Statuten formuliert und sich «Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates» nennt. Als Protektor wird Erzherzog Rudolph gewonnen, der Bruder des regierenden Kaisers Franz I., und grosser Förderer von Ludwig van Beethoven.

Hauptzweck des Vereins ist «die Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen», dazu gehören

  • Gründung eines Konservatoriums
  • Systematische Sammlung musikhistorischer Dokumente ( Archiv )
  • Veranstaltung eigener Konzerte

Der Verein hat zunächst noch kein eigenes Haus. Die Konzerte, mit einer kleineren Anzahl von Mitwirkenden, werden in verschiedenen Sälen gegeben, die grossen, sogenannten Gesellschaftskonzerte, in den Redoutensälen und der Winterreitschule der kaiserlichen Hofburg. Die Mitglieder von Orchester und Chor waren, wohlgemerkt, Dilettanten, also Liebhaber, aber auf hohem Niveau. Die dargebotenen Werke wurden jedoch immer anspruchsvoller und so lud man professionelle Musiker zum Mitspielen ein. Dies waren hauptsächlich Musiker des Orchesters der Wiener Hofoper, welche wiederum 1842 ihren eigenen Verein gründeten, den «Verein der Wiener Philharmoniker».

Die Gesellschaft der Musikfreunde belebt das Wiener Musikleben. Zum 25-jährigen Jubiläum 1837 findet ein grosses Musikfest statt. Mehr als 1000 Mitwirkende führen Haydns Oratorium «Die Schöpfung» auf.

1839 kommt Händels Oratorium «Paulus» zur Aufführung. Robert Schumann ist anwesend und bewertet die Gesellschaft mit Bestnoten: «Diese ist ein höchst ehrenwerter Verein, in dem sich in neuerer Zeit ein sehr frisches Leben entwickelt hat». Auch dem Wiener Publikum streut Schumann Rosen: « Als ich am Schluss das Publikum schätzte, war es so vollzählig da wie am Anfang, und man muss Wien kennen, um zu wissen, was das heisst: Wien und ein dreistündiges Oratorium haben bisher in schlechter Ehe gelebt, aber der Paulus brachte es zustande…»

1847 wird Mendelssohns «Elias» angesetzt, der Komponist selbst soll die künstlerische Leitung dieses Gesellschaftskonzerts in der Winterreitschule übernehmen. Doch Mendelssohn stirbt überraschend 10 Tage vor der Aufführung. Das Musikfest mutiert zum Trauerfest. Alle 1000 Mitwirkenden und ein Grossteil des Publikums erscheint in Trauerkleidung. Noch ahnt niemand, dass diese Kundgebung zugleich auch einen Schlusspunkt unter die musikalischen Aufführungen in der Winterreitschule setzen wird.

1848 – das Revolutionsjahr. Während neun Monaten sind ab 2. April alle öffentlichen Konzerte verboten, und ab Juni muss auch der Lehrbetrieb des Konservatoriums auf behördliche Anweisung eingestellt werden. Es brechen düstere Zeiten an: unterstützende Mitglieder springen ab, wohl aus Angst vor eventuellen Repressalien. Künstler erhalten keine Aufträge mehr. Die Einnahmen bleiben aus.

Man beschliesst, ein Ansuchen um finanzielle Unterstützung an das zuständige Ministerium zu stellen. Doch die Antwort fällt negativ aus, nicht ohne eine Prise Zynismus:

«Der hohe Ministerrat geht von der Ansicht aus, dass zur Gründung und Leitung gerade solcher Institute der Gemeinsinn und die freie Tätigkeit der Staatsbürger vorzugsweise geeignet und berufen seien, und dass die politische Freiheit vielmehr dazu führen soll, diesen Gemeinsinn zu beleben, als die Sorge für alle Interessen der Regierung aufzulasten.»

Will heissen: Die Bürger in einer bürgerlichen Gesellschaft sollen ihre blutig erkämpften Rechte gefälligst auch nützen und nicht die Obrigkeit anrufen.

Das ist die Retourkutsche der in Bedrängnis geratenen Verwaltung nach 1848. Die Monarchie war schwer erschüttert worden. Metternich wurde verjagt, Kaiser Ferdinand I. übergab die Regierung seinem Neffen Franz Josef. ( Das Haus Habsburg vermied die Bezeichnung Abdankung.) Die Monarchie konnte gerettet werden. Eine vorsichtige Liberalisierung hielt Einzug.

Ende des Jahres 1849 ist die Lage für die Gesellschaft der Musikfreunde so ernst, dass sogar über die Auflösung des Vereins diskutiert wird. Doch es setzen sich die Gremien durch, die der Überzeugung sind, dass die Gesellschaft unter allen Umständen weiterleben muss. Man gründet ein Hilfskomitee und beschliesst, dass die «grossen Gesellschaftskonzerte» in Zukunft nicht mehr durch Amateure, sondern durch ausgebildete Künstler auszuführen seien. Man bestellt auch einen artistischen Direktor, Josef Hellmesberger. Dieser hat seine Ausbildung am Konservatorium der Gesellschaft erhalten, ist ein aussergewöhnlicher Geigenvirtuose, wird 1. Konzertmeister an der Hofoper und schliesslich deren Kapellmeister. Unter seiner Leitung werden die Konzerte, bislang eine bunte Mixtur, in die Richtung gebracht, wie wir sie heute kennen.

1854 findet die Traumhochzeit zwischen Franz Josef und Elisabeth statt. Die Musikfreunde überreichen als Geschenk eine Kassette mit Musikhandschriften von zeitgenössischen Komponisten. Das soll nicht ohne Folgen bleiben. Franz Josef wird 1856 selbst Mitglied bei der Gesellschaft und spendet 1000 Gulden aus seiner Privatschatulle. Mitglieder des Erzhauses und andere hochgestellte Persönlichkeiten treten dem Verein bei. Karl Cerny, der grosse Pianist und Klavierpädagoge hinterlässt der Gesellschaft ein Viertel seines beträchtlichen Vermögens. Die Hungerjahre sind vorbei.

1862, zum 50jährigen Jubiläum, ertönt in Anwesenheit des Herrscherpaares Händels Messias. Es gibt allen Grund zu jubeln und euphorisch in die Zukunft zu blicken. Anlässlich des Festbanketts, das von Johann Strauss und seiner Kapelle musikalisch gestaltet wird, verspricht Staatsminister von Schmerling ein Baugrundstück. Ein Jahr später ist es so weit. Zwischen Karlskirche und der im Bau befindlichen Ringstrasse kann auf 1.700 m² das lang ersehnte eigene Konzerthaus errichtet werden.

Der Architekt Theophil Hansen erhält den prestigeträchtigen Auftrag. Er hat Studien in Griechenland absolviert und kennt die Geheimnisse antiker Amphitheater. 1870, also vor 150 Jahren, kann das Gebäude, kurz Musikverein genannt, eingeweiht werden. Die Akustik des Goldenen Saals gilt bis heute als unvergleichlich. Sie ist das Ergebnis einer ausgeklügelten Konstruktion. Der hohle Holzboden und die von oben herabgehängte Decke schwingen mit und tragen wesentlich zur hervorragenden Akustik bei. Die reiche Gliederung des quaderförmigen Saales, mit den Balkonen, der Kassettendecke und dem Spalier der Karyatiden, ermöglicht es, dass die Schallwellen vielfach gestreut werden und dadurch «weich» im Ohr landen.

Finanziert wird der Bau durch einen Kredit, Zuwendungen von Freunden und Mitgliedern und durch 50% der Erträge zweier Staatslotterien! Diese treten also schon damals als Förderer kultureller Einrichtungen auf.

Auch die Statuten werden geändert. Man schafft Anreize für finanzielle Unterstützer, die als Stifter oder Gründer eingestuft werden und Vorrechte geniessen.

Bild von https://pixabay.com/de/users/geischlaeger0

Und wofür wird dieser Meisterbau nun benützt? Für die jährlichen sechs bis sieben ordentlichen und ausserordentlichen Gesellschaftskonzerte, für die in unregelmässiger Folge gegebenen Konzerte des Konservatoriums und für die sogenannten Künstlerabende, die sowohl ein musikalisches wie auch ein gesellschaftliches Ereignis sind. Diese beginnen mit Musikdarbietungen auf höchstem Niveau und enden mit Tanz! Das sind also die Eigenveranstaltungen der Gesellschaft der Musikfreunde in ihrem neuen, grossen Saal.

Doch noch im selben Jahr entschliessen sich die Wiener Philharmoniker, ihre selbst veranstalteten Abonnementkonzerte vom Kärntnertortheater in diesen zu mietenden Saal zu verlegen. Eine Tradition, die bis heute ununterbrochen anhält.

Konzertdirektionen mieten den Saal für bei ihnen unter Vertrag stehende Künstler.

Auch die Strauss-Kapelle entdeckt den Saal für sich und veranstaltet dort regelmässige Konzerte.

Weitere wichtige Mieter sind auch die Ballveranstalter. Die Balltradition wird heute vom Ball der Wiener Philharmoniker und dem Techniker Cercle fortgeführt. Das sind die zwei nobelsten Bälle in Wien neben dem Opernball.

Zu erwähnen wäre noch, dass das Konservatorium für einen privaten Verein zu gross wird. 1909 wird es der öffentlichen Hand übergeben und heisst nun K.K. Akademie für Musik und Darstellende Kunst. ( heute ohne den Zusatz K.K. – Kaiserlich-Königlich ).

Unterm Dach, über dem Künstlerzimmer der Dirigenten, ist Wiens musikalische Schatzkammer untergebracht: das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde mit ihrem unschätzbaren Bestand an Autographen und Nachlässen, wie denen von Erzherzog Rudolph, Johannes Brahms, Ludwig von Köchel und Anthony van Hoboken.

Nikolaus Harnoncourt hat das Archiv als eine seiner Arbeitsstellen betrachtet. Otto Biba, der langjährige Leiter des Archivs erzählt: «Nie vergessen werde ich eine Probe zu Schuberts Vierter Symphonie mit den Wiener Philharmonikern im Grossen Musikvereinssaal, bei der es zu einer Diskussion über eine ganz bestimmte Holzbläserstelle kam. Ein Anruf, ob ich noch hier sei. Und kurz darauf studieren Harnoncourt, der Orchestervorstand, der Konzertmeister und einige Holzbläser genau diese Stelle in Schuberts Partiturautograph.»

Zweimal noch wird eine Sperre aller Wiener Konzertsäle verordnet: 1917, während des 1. Weltkrieges und 1918, als die Grippeepidemie das öffentliche Leben lahmlegte.

Am Ende des 2. Weltkrieges konnte das Haus einige Zeit nicht bespielt werden, da eine Bombe das Dach beschädigte, im Inneren des Hauses aber, wie durch ein Wunder, nicht explodierte.

Am 16. September 1945 wird der renovierte Grosse Saal mit einem Festkonzert wiedereröffnet. Es spielen die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Josef Krips Schuberts «Unvollendete» und die Siebte Symphonie von Anton Bruckner.

Und nun wurde am 9. März 2020 zum dritten Mal in der Geschichte des Vereins auf behördliche Anordnung das Veranstalten öffentlicher Konzerte wegen der Ausbreitung von COVID-19 untersagt. Ab Sonntag, 7. Juni 2020, soll der Betrieb wieder langsam anlaufen, unter strengen Regeln. Wie man dem Programm entnehmen kann, spielen um 11 Uhr die Wiener Philharmoniker vor «Geschlossener Gesellschaft» und am Abend gibt Daniel Barenboim einen Beethoven-Klavierabend vor 100 Besuchern. An den weiteren Tagen sind die Konzerte bereits ausverkauft oder es gibt eine Warteliste.

Wird die Gesellschaft der Musikfreunde die öffentliche Hand um finanzielle Unterstützung wegen der erlittenen finanziellen Einbussen bitten? Wenn ja, wie wird diese entscheiden?

Darüber wird sicher zu gegebener Zeit in der Presse berichtet.

p.s.

214 Namen befinden sich auf der Liste der Ehrenmitglieder der Gesellschaft der Musikfreunde, so ungefähr alle, die Rang und Namen haben und hatten in den letzten, nunmehr 208 Jahren, darunter 8 Frauen! Sie waren überwiegend Mäzeninnen wie etwa die Fürstin Pauline Metternich und die russische Grossfürstin Maria Pavlowna. Die einzige Musikerin in der Liste ist Clara Schumann, an deren Büste man vorbeikommt, wenn man den linken Aufgang zum Grossen Saal im Musikverein benützt.

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Deutsch 1

Deutsch 1

Hallo, meine Lieben!

Am kommenden Donnerstag, 7. Mai, wäre unsere Deutschstunde. Doch leider fällt sie ein weiteres Mal dem Virus zum Opfer.

Ich sitze viel zu Hause an meinem Schreibtisch, von dem aus ich einen herrlichen Blick über See und Alpen habe. Und mein Fernweh und meine Sehnsucht wächst nach dem Land, das hinter den Alpen liegt und wo die Zitronen blüh’n. Das liess mich letzte Woche zur Italienischen Reise von Goethe greifen. Es hat mich gefesselt, und ich möchte Euch ein paar Auszüge zuschicken, damit Ihr mir das Deutsche nicht verlernt.

Ich hoffe, dass Ihr die Zeit trotz aller Einschränkungen gut verbringen könnt und wünsche Euch weiterhin gute Gesundheit und Durchhaltevermögen. Seid ganz herzlich gegrüsst und virtuell umarmt

Barbara

Goethe: Italienische Reise

( im Druck erschienen erst 1816 und 1817 )

Den 3. September 1786
Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte.

Sechs Tage nach seinem 37. Geburtstag, am 28.8., bricht Johann Wolfgang von Goethe auf, um endlich, im dritten Anlauf, nach Italien zu gelangen. Er befindet sich in einer Schaffenskrise. 10 Jahre hat er bereits seinem Herzog gedient, hat immer mehr Verwaltungsposten übernommen, ist Minister und wurde geadelt, hat aber nichts mehr veröffentlicht. Sein Weg führt ihn über Regensburg, München, Innsbruck, Bozen nach Trient, wo wir den ersten Halt machen:

Den 11. September

In der Abendkühle ging ich spazieren und befinde mich nun wirklich in einem neuen Lande, in einer ganz fremden Umgebung. Die Menschen leben ein nachlässiges Schlaraffenleben: erstlich haben die Türen keine Schlösser; der Wirt aber versicherte mir, ich könnte ganz ruhig sein, und wenn alles, was ich bei mir hätte, aus Diamanten bestünde; zweitens sind die Fenster mit Ölpapier statt mit Glasscheiben geschlossen; drittens fehlt eine höchst nötige Bequemlichkeit, so dass man dem Naturzustande hier ziemlich nahe kommt. Als ich den Hausknecht nach einer gewissen Gelegenheit fragte, deutete er in den Hof hinunter. «Qui abasso può servirsi!» Ich fragte: «Dove?» – «Da per tutto, dove vuol ! » antwortete er freundlich. …………….Der Wirt verkündete mir mit italienischer Emphase, dass er sich glücklich finde, mir mit der köstlichsten Forelle dienen zu können. Sie werden bei Torbole gefangen, wo der Bach vom Gebirge herunter kommt und der Fisch den Weg hinauf sucht. ………… Es sind keine eigentlichen Forellen, gross, manchmal fünfzig Pfund schwer, über den ganzen Körper bis auf den Kopf hinauf punktiert; der Geschmack zwischen Forelle und Lachs, zart und trefflich. Mein eigentlich Wohlleben aber ist in Früchten, in Feigen, auch Birnen, welche da wohl köstlich sein müssen, wo schon Zitronen wachsen.

Woher kann Goethe italienisch? Goethes Vater, ein Italien-Liebhaber, hatte bereits 1740 eine längere Reise nach Italien unternommen und ein Manuskript «Viaggio per l’Italia» verfasst und wollte, dass seine Kinder diese Sprache erlernen sollten, also erhielten sie Unterricht.

Über Verona geht die Reise nach Vicenza, wo er am 19. September eintrifft:

Vor einigen Stunden bin ich hier angekommen, habe schon die Stadt durchlaufen, das Olympische Theater und die Gebäude des Palladio gesehen. Wenn man nun diese Werke gegenwärtig sieht, so erkennt man erst den grossen Wert derselben; denn sie sollen ja durch ihre wirkliche Grösse und Körperlichkeit das Auge füllen und durch die schöne Harmonie ihrer Dimensionen nicht nur in abstrakten Aufrissen, sondern mit dem ganzen perspektivischen Vordringen und Zurückweichen den Geist befriedigen, und so sag’ ich vom Palladio: er ist ein recht innerlich und von innen heraus grosser Mensch gewesen.

Venedig, den 28. September 1786

Wie es mir von Padua hierher gegangen nur mit wenig Worten: Die Fahrt auf der Brenta, mit dem öffentlichen Schiffe in gesitteter Gesellschaft, da die Italiener sich vor einander in Acht nehmen, ist anständig und angenehm. Die Ufer sind mit Gärten und Lusthäusern geschmückt, kleine Ortschaften treten bis ans Wasser, teilweise geht die belebte Landstrasse daran hin. Da man schleusenweise den Fluss hinab steigt, gibt es öfters einen kleinen Aufenthalt, den man benutzen kann, sich auf dem Lande umzusehen und die reichlich angebotenen Früchte zu geniessen. Nun steigt man wieder ein und bewegt sich durch eine bewegte Welt von Fruchtbarkeit und Leben…………

Den 3. Oktober

Den Plan in der Hand suchte ich mich durch die wunderlichsten Irrgänge bis zur Kirche der Mendicanti zu finden. Hier ist das Konservatorium, welches gegenwärtig den meisten Beifall hat. Die Frauenzimmer führten ein Oratorium hinter dem Gitter auf, die Kirche war voll Zuhörer, die Musik sehr schön, und herrliche Stimmen. Ein Alt sang den König Saul, die Hauptperson des Gedichts. Von einer solchen Stimme hatte ich gar keinen Begriff,………

Im herzoglichen Palast hörte ich eine Rechtssache öffentlich verhandeln…..Der eine Advokat war alles, was ein übertriebener Buffo nur sein sollte. Figur, dick, kurz, doch beweglich, ein ungeheuer vorspringendes Profil, eine Stimme wie Erz und eine Heftigkeit, als wenn es ihm aus tiefstem Grunde des Herzens Ernst wäre, was er sagte. Ich nenne dies eine Komödie, weil alles wahrscheinlich schon fertig ist, wenn diese öffentliche Darstellung geschieht; die Richter wissen, was sie sprechen sollen, und die Partei weiss, was sie zu erwarten hat. Indessen gefällt mir diese Art unendlich besser als unsere Stuben- und Kanzleihockereien………..Der Schreiber fing zu lesen an, und nun ward mir erst deutlich, was ein im Angesicht des Richters unfern des Katheders der Advokaten hinter einem kleinen Tische auf einem niedern Schemel sitzendes Männchen, besonders aber die Sanduhr bedeute, die er vor sich niedergelegt hatte. Solange nämlich der Schreiber liest, so lange läuft die Zeit nicht, dem Advokaten aber, wenn er dabei sprechen will, ist nur im Ganzen eine gewisse Frist gegönnt. Der Schreiber liest, die Uhr liegt, das Männchen hat die Hand daran. Tut der Advokat den Mund auf, so steht auch die Uhr schon in der Höhe, die sich sogleich niedersenkt, wenn er schweigt. Hier ist nun die grosse Kunst, in den Fluss der Vorlesung hineinzureden, flüchtige Bemerkungen zu machen, Aufmerksamkeit zu erregen und zu fordern. Nun kommt der kleine Saturn in die grösste Verlegenheit. Er ist genötigt, den horizontalen und vertikalen Stand der Uhr jeden Augenblick zu verändern, er befindet sich im Fall der bösen Geister im Puppenspiel, die auf das schnell wechselnde «Berlicke! Berlocke!» des mutwilligen Hanswurstes nicht wissen, wie sie gehen oder kommen sollen…

Am 15. Oktober verlässt Goethe Venedig und reist über Ferrara, Bologna, Florenz nach Rom

Rom, den 1. November 1786

Ja, ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt! Wenn ich sie in guter Begleitung, angeführt von einem recht verständigen Manne, vor fünfzehn Jahren gesehen hätte wollte ich mich glücklich preisen. Sollte ich sie aber allein, mit eigenen Augen sehen und besuchen, so ist es gut, dass mir diese Freude so spät zuteil ward. Über das Tiroler Gebirge bin ich gleichsam weggeflogen. Verona, Vicenza, Padua, Venedig habe ich gut, Ferrara, Cento, Bologna flüchtig und Florenz kaum gesehen. Die Begierde, nach Rom zu kommen, war so gross, wuchs so sehr mit jedem Augenblicke, dass kein Bleiben mehr war, und ich mich nur drei Stunden in Florenz aufhielt. Nun bin ich hier und ruhig und, wie es scheint, auf mein ganzes Leben beruhigt. Denn es geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, das man teilweise in- und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend seh’ ich nun lebendig; die ersten Kupferbilder, deren ich mich erinnere ( mein Vater hatte die Prospekte von Rom auf einem Vorsaale aufgehängt ), seh’ ich nun in Wahrheit, und alles, was ich in Gemälden und Zeichnungen, Kupfern und Holzschnitten, in Gips und Kork schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir; wohin ich gehe, finde ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt; es ist alles, wie ich mir’s dachte, und alles neu. Ebenso kann ich von meinen Beobachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, dass sie für neu gelten können.

Am 25. Februar kommt er in Neapel an.

Bei ganz rein heller Atmosphäre kamen wir Neapel näher; und nun fanden wir uns wirklich in einem andern Lande. Die Gebäude mit flachen Dächern deuten auf eine andere Himmelsgegend, inwendig mögen sie nicht sehr freundlich sein. Alles ist auf der Strasse, sitzt in der Sonne, so lange sie scheinen will. Der Neapolitaner glaubt, im Besitz des Paradieses zu sein und hat von den nördlichen Ländern einen sehr traurigen Begriff: «Sempre neve, gran ignoranza, ma danari assai.» Solch ein Bild machen sie sich von unserem Zustande………………….Neapel selbst kündigt sich froh, frei und lebhaft an, unzählige Menschen rennen durcheinander, der König ist auf der Jagd, die Königin guter Hoffnung, und so kann’s nicht besser gehen.

Neapel, den 3. März

Dass kein Neapolitaner von seiner Stadt weichen will, dass ihre Dichter von der Glückseligkeit der hiesigen Lage in gewaltigen Hyperbeln singen, ist ihnen nicht zu verdenken, und wenn auch noch ein paar Vesuve in der Nachbarschaft stünden. Man mag sich hier an Rom gar nicht zurückerinnern; gegen die hiesige freie Lage kommt einem die Hauptstadt der Welt im Tibergrunde wie ein altes, überplaciertes Kloster vor.

Nach viertägiger Überfahrt erreicht Goethe Palermo am 3.April 1787. In Sizilien wird er bis 12. Mai bleiben. Am 17. Mai schreibt er von Neapel aus an Herder;

Den 1. Juni reise ich nach Rom, wenn mich nicht eine höhere Macht hindert, und anfangs Juli denke ich von dort wieder abzugehen. Ich muss euch so bald als möglich wiedersehen, es sollen gute Tage werden. Ich habe unsäglich aufgeladen und brauche Ruhe, es wieder zu verarbeiten.

Doch es sollte anders kommen. Der Aufenthalt in Rom wird bis zum April 1788 dauern. Der Herzog, sein Dienstherr, genehmigt ihm die Verlängerung seines Urlaubs. In der deutschen Künstlerkolonie, zu der auch Angelika Kaufmann zählt, blüht er auf. Stimulierend ist auch seine Liebe zu Faustina. Und Goethe schreibt wieder. Er spricht immer wieder davon, dass er eine Art Wiedergeburt erlebe, er habe sich selbst als Künstler wiedergefunden, schreibt er dem Herzog. Drei grosse Werke entstehen in dieser Zeit: Tasso, Iphigenie und Egmont.

Von 10.3. – 20.6.1790 unternimmt Goethe eine zweite Reise nach Italien, sie führt ihn wieder über den Brenner bis nach Venedig. Doch «das ist Italien nicht mehr, das ich mit Schmerzen verliess.»

Eine dritte geplante Reise 1796 findet nicht mehr statt.

Aber sein Haus in Weimar ist voller Erinnerungsstücke an Italien.

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